PHANTOM FORCE

PHANTOM FORCE

Ich fürchte mich nicht vor Geistern, sondern eher vor Menschen, die sich vor Geistern fürchten. (Heidi Holleis)

An den Grenzen der Sprache verwischen die Tatsachen. Es verwischen einst klar erkennbare Bilder. Es wird zweifelhaft, surreal, unglaubhaft, oft sogar unheimlich. An den Grenzen der Sprache sind es Bilder, die sich wie Geister aus einer Vergangenheit aber doch zeitgemäß und alltäglich in unsere Gegenwart eingraben und durch kognitive Prozesse bilden und sprachlich-symbolische Grenzen aufzeigen.

Der 7. Satz aus Wittgensteins “Tractatus Logico-Philosophicus”,der längst schon in den Volksmund eingegangen ist, lautet: “Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen”. Hier hat Wittgenstein eine Grenze gezogen; die der Sprache. Wir könnten schweigen, nichts sagen, nichts deuten, aber können das auch unsere Affekte, die in der Wahrnehmung immer neue Bilder erzeugen und geisterhafte Gebilde clustern?

Der Surrealismus – dem der Dadaismus den Weg bahnte und der, aus einem der unzähligen Blickwinkel (wieder einer Deutung von Zeichen) betrachtet, eine Rückkehr zur bürgerlichen Liebe zum Mystizismus symbolisiert – kehrt, wie der Dadaismus auch, ein Inneres nach Außen, um in einem Schauraum der Symbole und Zeichen einen durchaus verwirrenden Blick auf menschliche Affekte freizulegen. Der Dadaismus war hier in seiner Destruktion und der Arbeit mit Versatzstücken und Fragmenten wesentlich klarer, pragmatischer und so exoterischer, was im Umkehrschluss die Frage erlaubt, ob das Schnöde am Surrealismus nicht doch in einem Mystizismus liegt. 

Grundsätzlich ließe sich sagen, dass ein Zeichen (für sich alleine) keinen Sinn ergeben kann, weil für Sinnhaftigkeit ein Bewusstsein benötigt wird, ein kognitives System, das den Zeichen Bedeutung beimisst, oder wie der Pragmatiker Charles S. Peirce gesagt hätte: Um überhaupt ein Zeichen zu sein, muss es in eine Drittheit (Thirdness) gehoben werden, in eine Dimension des Deutens. Neben (1) Etwas, das für (2) etwas anderes steht.

Es benötigt einen Sinnesapparat um Bedeutungen zu generieren, wenn sie dann auch einen Sinn ergeben sollen. Der Sinn von Symbolen oder Zeichen kann in einem Wahrnehmungsapparat durchaus ganz neu entsteht, aber erst dann, wenn auf eine Sammlung von Bedeutungen zurückgegriffen werden kann, anhand derer eine Deutung erst möglich wird, quasi eine Anthologie von Drittheiten. Diese übernommenen Bedeutungen, die sich im Verlauf der Zeit auch konnotativ verändern, bilden die memetische, also kulturelle Grundlage für die Deutbarkeit von Bildern, Zeichen und Symbolen. So deuten wir heutige Erscheinungen mit Deutungsmittel und einem Wissen von gestern und beschreiben Geister, die z.B. der Konsum generiert, mit Deutungs- und Beschreibungsmustern aus einer Zeit in der Denken in Symbolen praktiziert wurde und weniger in Bedeutungen. Bei animistischen Kulturen wird das Dubiose als unerklärt bleibendes hingenommen und Dinge und Gegenstände gelten als beseelt, weil einfach alles als beseelt gilt. Heidi Holleis’ Geister könnten keine neuen Wesen sein, sondern durchaus welche, die in einem anderen Kulturkreis (etwa dem thailändischen) schon seit Jahrtausenden bekannt sind und denen schon die einen oder anderen Tempel gewidmet sein könnten.

Vielleicht liegt gerade deshalb ein dadaistisches Schnipsel aus einem Modemagazin auf dem surrealen Ruß; weil das Zeitgemäße, ohne eine Projektionsfläche oder ohne dem Hintergrund des Unzeitgemäßen, in unserem Wahrnehmungsapparat keinen Sinn ergeben würde und somit der Unsinn zur Sinnlosigkeit wird und zur Annahme verleitet, dass in Wahrheit erst das Nichtvorhandensein von Sinn Angst produziert. Sogesehen ist es dann der pragmatische Prozess, der dabei hilft, Zeichen in eine Thirdness zu hieven, damit Etwas überhaupt Sinn machen kann.

Nietzsche für die Katz
Holleis’ Katzen sind aus dem Netz, dem Ort an dem dieses Tier eine mythische Renaissance erlebt, die an die Verehrung im alten Ägypten erinnert. Die Mythen, die sich um dieses Lebewesen ranken, sind auch nicht neu und so zeigt sich, dass uns die Menschheitsgeschichte als Retrospektive immer wieder einholt. In Mythen, Sagen, Märchen oder religiösen Narrativen wurden Tieren immer auch Zauber- bzw. übermenschliche Kräfte angedichtet. Das erledigen heute die Marvel, DC und andere Universen, in Comics, auf Netflix und im Kino. Die neuen Übermenschen (Superman) sind nichts anderes als alte Götter in neuem Gewand, die sich in den selben alten Erzählungen bewegen, nicht ohne moralische Zeigefinger und in teils unerträglichem Pathos. Es drängt sich die Frage auf, warum Gott und Gottheiten immer wieder in unsere Wahrnehmung und so in unsere Welt kriechen? Der Psychoanalytiker Leo Kaplan erklärt die Entstehung der Götter und ihrer Allmächtigkeit anhand narzisstischer Affekte in Verbindung mit Projektionen auf die Umwelt. Es drängt also immer etwas unaufhaltsam von innen nach aussen, Phantome, Geister, Bilder, sonstwas. Holleis’ Katzen besitzen wahrscheinlich ewiges Leben und zudem noch Superkräfte, die sie auch ungeniert einsetzen, indem sie an den Fäden ziehen und uns (den Menschen) zur Marionette machen. Ihr Spiel, ihre Regeln! Wir fügen uns, weil es das Devote in uns streichelt.

Christian Stefaner-Schmid, Wien 6/2019

Text zur Ausstellung Phantom Force (Heidi Holleis), Galerie Sussudio, 1020 Wien (sussudio.at)