VERSUS – Neue VR – Alte Fragen (Exposé)
Von der Maschine als Extension und VR als projektive Methode
Christian Stefaner-Schmid (09/2015) preliminary Draft (not for Public)
Ich erkenne eine Maschine, weil sie etwas tut, das ich auch schon einmal getan habe. Ich habe mich, seit ich diese Passage schrieb, daran gemacht, das Wackeln mit dem linken Ohr allein zu erlernen. Oswald Wiener, Probleme der Künstlichen Intelligenz
EINLEITUNG
Der menschlichen Seele werden – (nicht nur) mit Sigmund Freuds Theorien – Funktionen zugeschrieben, die der eines deterministischen Apparates ähneln. Sigmund Freud geht in “Das Unbehagen in der Kultur“ (1929) davon aus, dass Werkzeuge und Medien den Menschen vervollkommnen, auch um sich einem göttlichen Ideal (einer Idealisierung) anzunähern. Ernst Kapp, Begründer der Philosophie der Technologie, mutmaßt, dass alle Werkzeuge und Maschinen eine Projektion der Organe des Menschen sind – und widmet dieser speziellen Überlegung – in seinem 1877 erschienenen “Grundlinien einer Philosophie der Technik“ – ein Kapitel mit dem Titel ORGANPROJEKTION.
Gotthard Günther sieht es Mitte des 20. Jahrhunderts wie folgt, aber nicht unähnlich zu Ernst Kapp:
“Wir begegnen in der Kybernetik einem neuen Weltgefühl, in dem die Seele ihre Heimat nicht in einem Jenseits sucht, sondern in dieser Welt, die durch den Prozess der Reflexion ihrer Fremdheit entkleidet und zum Abbild der Menschen umgeschmiedet werden soll. In der mit DENKEN und BEWUSSTSEIN begabten Maschine gestaltet der Mensch eine Analogie des eigenen Ichs“.
Ein, wie ich es nenne, “Hinauswerfen der Seele bzw. der Strukturen der Seele in eine Maschine“, die dadurch mehr und mehr menschliche Eigenschaften annimmt und die intime Welt umhüllt. Durch die Gleichsetzung (auch eines Vergleichs) mit Algorithmen werden Beschaffenheiten und Abläufe der soziopolitischen Welt beschrieben um Tendenzen sichtbar zu machen oder sich Szenarien rechnerisch anzunähern. Maschinell erfassbare Symbole bilden eine Grundlage um Werte wiederum in Darstellungen, Diagramme und Bilder rück-zu-übersetzen. Ein Herausrechnen aus dem Bereich der realen Welt in den Raum der Simulation. Interpretationen werden in unterschiedlicher Form in die reale Welt rückgespeist, also gefeedbacked, was bedeutet, dass Interpretationen transkribierter Sachverhalte reale Auswirkungen auf die Realität gewinnen. Man könnte behaupten es wird so der sozialen und politischen Welt eine algorithmisierte Logik – auch unter dem Vorwand der Effizienz – aufgezwungen. Die heutige Rechenwelt basiert stark auf Erkenntnissen, Überlegungen, Vergleichen und Experimenten der Kybernetik, die einerseits Beschreibungsmöglichkeiten und Grundlagen für wesentliche Fortschritte des reinen Denkens, von Kognition und Bewusstsein fand, aber auch Werkzeuge schuf, die, ob ihrer einfachen Anwendung, Steuerung eine Kontrolle zum Kinderspiel machen. Man könnte auch behaupten, diese Werkzeuge sind heute nicht in den Händen der Vielen, sondern der Wenigen. In Algorithmen sind mathematische Funktionen implementiert, die aufgrund ihrer Vielzahl und komplexen Verschaltung (Verschachtelung) oft nur unbefriedigende Prognosen auf ein Gesamtbild zulassen. Mit Algorithmen lässt sich experimentieren. Programme, also algorithmische Komplexe, sind mit unzähligen anderen Programmen, über Schnittstellen und Protokollen, für einen Austausch bloßer Daten verbunden. Die exakten Abläufe einzelner Programme – mit denen eine Kommunikation (ein Austausch) aufgebaut werden soll – muss nicht bekannt sein, um ein interpretierbares Bild eines Zustandes der Maschine wiederzugeben. Alleine eine Rückführung auf bekannte Mathematische Systeme und Logiken ist dafür notwendig, schon alleine deshalb, weil das Datenmeer daraus resultiert. In der Verbindung verschiedener Abläufe und interagierender Rechenprozesse ergeben sich bei einer Analyse Detailbilder, die zwar ungenaue aber zur Deutung und einer Verwendung ausreichende Daten liefern. Mithilfe von Datenanalytischen Methoden, wie etwa beim Data mining, ist man in der Lage sich gewissen Funktionen eines Systems anzunähern. Es bedarf also einer gewissen Grundausstattung, die es erlaubt einen tieferen Blick in ein System zu werfen, von dem immer ausgegangen werden kann, dass es im Kern determinierbaren Prozessen auf Basis einfacher Strukturen folgt. Weshalb maschinelle/algorithmische/künstliche Intuition die des Menschen scheinbar übertreffen. (siehe MIT, “System that replaces human intuition with algorithms outperforms human teams“). Vereinfacht gesagt: Wir statten einen Aparatus mit dem gesamten menschlichen Wissen und Erkenntnissen aus, um dann, vielleicht nicht mehr in der Lage zu sein, seine Prozesse nachzuvollziehen. Die Gefahr besteht darin, dass der menschlichen Logik eine neue Logik gegenübersteht, die diese formen kann und so Einfluss gewinnt. Frankensteinscher Feedbackloop? Schöpfung gerät ausser Kontrolle?
LOGIK OHNE LOGIK
von der wir zumindest (noch) nichts wissen
Ich halte es für möglich, dass eine – einem entsprechend komplexen System eigene – Logik innerhalb (einer Ansammlung vernetzter trivialer und nicht trivialer Maschinen) entsteht, deren Ge-Sinn-ung mit bekannten Mitteln des Denkens dann nicht mehr nachvollziehbar ist. Was die Simulation nicht notwendigerweise “selfaware“ macht, aber doch soweit autonom, dass ihr eine “Selbsterkenntnis“ – zumindest in einer täuschenden Ähnlichkeit – zugeschrieben werden kann.
„So gesehen bereichern klassische und transklassische Maschinen unser Welt- und Selbstverständnis, nicht indem sie uns in eine feste Ordnung der Dinge fügen, sondern indem sie uns den Spiegel unserer Sebstverkennungen vor Augen halten und uns dadurch provozieren, unsere Selbstbeschreibungen als Körper- und Geistmaschine stets aufs neue in Zweifel zu ziehen.“ (Käte Meyer-Drawe, Maschine)
DAS KALKÜL DER PROGRAMME
Wenn keine Ethik hineinkommt ist auch keine Ethik drin. Eine Dystopie?
Wenn der Mensch seine psycho-logischen Strukturen in eine Virtualität einzubringen versucht – nicht mehr und auch nicht weniger ist möglich – werden damit auch Monster, Konflikte und Ängste in transkribierter Form in das System übertragen, da sie ja Teil der psychischen Strukturen sind. Der Mensch kommuniziert, kontaktet, arbeitet, spielt und handelt heute innerhalb von Strukturen, einer Vorstufe einer Maschine, der unter gewissen Voraussetzungen zumindest ein Pseudo-Bewusstsein unterstellt werden könnte, also ein dem menschlichen Bewusstsein täuschend ähnlicher Zustand. Warum sich das so sagen lässt, zeigt sich am aktuellen Stand der Bewusstseins – und Kognitionsforschung. Es wird mit Modellen gearbeitet, mit Simulationen und Gedankenexperimenten, die eine einfache Sicht auf eine Realität leicht aushebeln können. Bewusstsein wird an die Existenz einer Qualia (Charles S. Peirce), also der Fähigkeit z.B. Schmerz zu empfinden, geknüpft, aber auch an ein “Mitdenken“ des Körpers, wie es die Embodiment These postuliert. Der Mensch wird der Maschine gegenübergestellt um gewisse Fragestellungen überhaupt erst aufwerfen zu können. Wie etwa durch das Zombie-Argument (Philosophical Zombie), in dem der Philosoph David Chalmers ein Gedankenexperiment vorantreibt, das die Unterscheidung – ob es sich um einen Menschen oder einen Pseudo-Menschen (Zombie) handelt – vom Vorhandensein phänomenaler Bewusstseinszustände abhängig macht. Mensch = Qualia, Zombie = keine Qualia, die Unterscheidung jedoch nicht möglich.
Es ist die Virtualität des Geistes, die es überhaupt erlaubt, Überlegungen – annähernd frei von materialistischen-physikalischen Zwängen – zu haben, um Denkräume zu eröffnen, die ansonsten nicht zugänglich wären. Das Gedankenexperiment wird so zu einer Ur-Simulation, was nahe legt, dass die klassischen Axiome eine Form der Simulation sind, die im Geist einen “virtuellen Raum“ einnehmen und sich in einer Verschriftlichung materialisieren und so zu einer Pseudo-Realität werden. Aktuelle Maschinen sind naturalistische Darstellungen unserer Selbst und unserer Psyche. Das Rauschen der Maschine sind abstrakte und nicht konkrete Modelle, die sich aus einer primitiven Struktur – vielleicht aber erst ab einer entsprechenden Komplexität oder Qualität – jedoch notgedrungen bilden. “GHOSTS IN THE MACHINE oder GREMLINS OF OUR SELFS.
UMWANDLUNG UND TRANSKRIPTION
Wenn Rauschen Sinn machen soll
Es liesse sich hier die Frage stellen, ob die von mir konzipierte und realisierte CON-MACHINE (die kontemplative Maschine), die 2014 am Institut für Medienarchäologie (IMA) präsentiert wurde, albträumt, Geister produziert oder sich hin und wieder unwohl fühlt, neben dem was sie sonst auf Basis der Algorithmik “wahrnimmt“. Formal gesehen kann dergleichen ausgeschlossen werden, weil es sich um eine rein kalkülbasierte Maschine handelt, die wiederum – dem Menschen sehr ähnlichen, aber doch sehr primitiven und überschaubaren – Handlungsmustern folgt und aussschliesslich damit beschäftigt ist, ihre vorhandenen Gedanken und Überlegungen durchzustöbern, um neue Datenmuster (Überlegungen/Bilder) zu generieren, die dann als neue (pseudo) Gedanken in die sich stetig erweiternde SAMMLUNG VON MUSTERN (0 und 1) einfliessen. Die Interpretation dieser Muster und die Umformung in Bilder ist ein rein transkriptorischer Prozess, der dem einer D->A Wandlung (Digital zu Analog) ähnelt.
POSTBIOTISCHE MACHINALOGIE
Klingt wie Science Fiction? Ist es auch! Science in Form von Fiktionen und Imaginationen möglicher wie unmöglicher Szenarien.
In meinen künstlerischen Arbeiten versuche ich oft auf Problematiken hinzuweisen, die dadurch entstehen, dass der menschliche Einfluss nicht mehr vorhanden ist. Für Ausstellungen werden Szenarien und Gedankenexperimente entwickelt, die z.B. von der Prämisse ausgehen, dass der Mensch nicht (mehr) existiert – Maschinen jedoch (weiter)laufen und (weiter)arbeiten. MACHINES DON´T ERR II (Bristol 2011)* hat eine einfache Prämisse als Ausgangsbasis, die in weiterer Folge die Frage aufwirft; Würden (werden) – sich ihrer Selbst bewusste – Maschinen Untersuchungen anstellen um Herkunft oder Entstehung ihrer Existenz zu erforschen?
Nur durch das ENTWERFEN! von Gedankenexperimenten, quasi als virtuelle Simulationen, sehe ich einen künstlerischen Weg ALTERNATIVE REALITÄTEN (ein Begriff, der VR über kurz oder lang ablösen wird) zu erzeugen, um dann in Folge die Grenzen von Gesetzmäßigkeiten klassischer Natur umgehen und einen Blick auf postbiotische WELTEN zu erlauben.
PROJEKTIERT – PROGRAMMIERT – PROJIZIERT
Was ich kann, kann sie dann WAHRSCHEINLICH auch, oder lässt sich das Subjekt von ihrer Projektion trennen
Wenn von Fehlern in einem System, in einer Maschine gesprochen wird, dann immer nur von Fehlern der menschlichen Logik, die in der Maschine, in einem virtuellen System, sichtbar werden, weil sie zuvor „hineinprogrammiert“ wurden. Gremlins oder Ghosts in the Machine sind menschliche Ghosts und Gremlins. Deshalb lässt sich grundsätzlich sagen: MACHINES DON´T ERR, wie ich das auch in einigen Ausstellungsszenarien tue. Die Sprache der Maschine ist die Sprache des Menschen, in der/den Logik(en) die dem Menschen bekannt sind, bis diese von einer Sprache und einer Logik abgelöst wird, die in der Maschine selbst – ohne weiteres zutun entsteht (siehe LOGIK OHNE LOGIK). Im Augenblick wird der Maschine gelernt die Welt zu erkennen wie wir sie erkennen. Was als Voraussetzungen dafür gilt, dass sich die Maschine ihrem Selbst widmet, kann in unterschiedlicher Form vermutet werden, weshalb von mindestens zweierlei Arten von Maschine gesprochen werden muss. Der Maschine (1), die nach bekanntem menschlichen Denken entsteht und von der Maschine, die ihre NEUE, aus sich selbst generierte Logik ganz selbstbezüglich (autopoietische) entdeckt, auch wenn sie das nur auf dem Fundament menschlichen Denkens und einer transkribierten Fähigkeit zu interpretieren (in simulierter Form) tut.
KOMMUNIKATION ist eine Interaktion, ein softer Verständigungsapparat, auch wenn es eine innere Kommunikation ist. Ein interner Prozess, der wie in der von mir konzipierten CON-MACHINE ausschliesslich mit sich selbst interagiert, vielleicht kommuniziert. Kommunikation bedarf gewisser Regeln, so einfach sie auch sind, wie eine Einigung über die Bedeutung verwendeter Begriffe. Dieser Pakt wird durch ein Protokoll sichergestellt, in dem Begrifflichkeiten in ihrer Bedeutung festgelegt sind und an das sich alles, an der Kommunikation beteiligte, uneingeschränkt halten muss. Das führt bei Maschinen nur zu einer strikten Befolgung von einfachen Regeln, ausser die Anweisungen zeigen sich als widersprüchlich. Sofalls keine Methode, kein Algorithmus vorhanden ist, der regelt wie mit Widersprüchlichkeiten umzugehen ist, wird die Maschine entsprechend ihrer – projizierten – Logik sehr strikte (re)agieren und auch nur dort eine Entscheidung treffen können, wo eine Entscheidungsmöglichkeit vorgesehen ist.
SIMULATION, VIRTUALITÄT UND MODELLE
Was will simuliert werden – eine Simulation ist immer “nur“ so gut wie die Daten und der Prozess, der Daten in Relation setzt
Wir diskutieren heute, ob unsere Welt eine Simulation ist oder ob zukünftige Simulationen einen Einfluss auf das Heute haben können. Teilweise führt das zu “haarsträubenden“ aber durchaus interessanten Diskussionen und Überlegungen unter Fachleuten und Laien. Was jedoch bei aller Diskussion bleibt, ist, dass einer umfassenden und idealen Simulation mindestens zwei Grenzen gesetzt sind. ZEIT und MENGE der Daten, die von (informationsverarbeitenden) Systemen be- und verarbeitet werden müssen. Daraus resultierend ergibt sich die Unmöglichkeit eine unspezifische Größe von Daten in einem spezifischen Zeitraum zu verarbeiten, d.h. es ist zwar möglich Prozesse auf Basis von Überlegungen und Kalkülen zu starten. Erwartete Ergebnisse treten aber auf Grund komplexer Rechenprozesse nicht in absehbarer Zeit ein, oder führen zu keinem Ausgang, weshalb generierte und virtuelle WELTEN immer limitierte virtuell generierte Welten sind.
Die Simulation ist noch ein Werkzeug – und erst, wenn die Simulation nicht mehr als DIGITALE STELLVERTRETUNG wahrgenommen wird, beginnt sich die Trennlinie zu verwischen und eine Unterscheidung wird schwieriger, vielleicht sogar unmöglich. Als der Film “Arrival of a Train at La Ciotat“ (1896), der Brüder Lumiere, einem Publikum gezeigt wurde, sprang dieses entsetzt zurück, weil es tatsächlich dachte, der Zug rase direkt in die Menge. Heute, etwas mehr als 100 Jahre später wird mehr getäuscht und getrickst als je zuvor, in Film und TV. Täuschungen des Geistes sowie der Wahrnehmung des Menschen werden seit jeher als Mittel eingesetzt und das durchaus auch aus manipulativen Gründen und aus einem machtkalkül heraus. Virtuelle Welten von Morgen werden wohl unter Miteinbeziehung aller notwendigen Sinne in einem nie dagewesenen Ausmass täuschen. Hirin liegt allerdings auch die Herausforderung und der Reiz, sich mit der Generierung neuer Pseudo-Welten zu beschäftigen. Die Aufgabe könnte sein, so korrekt als nur möglich und auf Basis der zur Verfügung stehenden Grundlagen und Mittel (auch technischer), zu antizipieren und anzunehmen, zu hypothetisieren und zu spekulieren, wobei trotzdem immer nur mit dem Vorhandenen gearbeitet werden kann, mit dem STOCK OF KNOWLEDGE.
Dazu Kurt Klagenfurt in Technologische Zivilsation (vordenker.de)
In der faustisch-abendländischen Kultur vollzieht sich der radikalste Projektionsschritt: die Übertragung des reinen, des inhaltsleeren Handlungsschemas des tätigen Menschen in die physische Wirklichkeit. Das ist die Geburt der Maschine…