EL TOPO (1970)

Erschienen 2008 oder 2009 (Programmzeitschrift OPI Institut – Innsbruck) – Kuration: Christian Stefaner-Schmid
https://leokino.at/index.php?disp=film&fid=F12084

Alejandro Jodorowsky wurde als Sohn rus­­sischer Einwanderer in Chile ge­­bo­­­­ren und begann in Santiago als Re­­­­­­­gis­­seur, Schauspieler, Autor und Zir­­­­­­­­kus­­clown zu arbeiteten. 1955 zieht er nach Paris, studiert Pantomime und arbeitet mit Marcel Marceau zusammen für den er die berühmte Pan­­to­­mime­Nummer „Der Käfig” schrieb.
Es gibt wenige Regisseure, die auf so viele gescheiterte Filmprojekte zurück blicken können wie Alejandro Jodorowsky. Das wohl bekannteste der gescheiterten Projekte wurde später von David Lynch eher uninspiriert, aber dafür umso teurer realisiert: DUNE. Wenn man so liest, wen Jodorowsky für sein Dune-Projekt Anfang der 1970er schon im Boot hatte und die tatsächlich schon zu arbeiten begannen, bleibt nichts als Wehmut. Darunter: H.R. Giger, der mit seiner Arbeit für ALIEN Weltruhm erlangte. Jodorowsky erhielt von Salvador Dali einen Giger-Katalog und war von dessen Arbeiten begeistert. Douglas Trumball war zuvor für die Special-Effects für Kubricks A SPACE ODYSSEY 2001 und später für die von STAR WARS verantwortlich. Auch sein Regiedebut SILENT RUNNING gilt mittlerweile als kleines Meisterwerk. Jodorowsky wollte für jeden Planeten in seiner Verfilmung einen eigenen Sound, weshalb er Pink Floyd und Magma für die Filmmusik engagierte. Weiters wurde Dan O´Bannon, der zu­­vor zusammen mit John Carpenter DARK STAR drehte, engagiert. Jean Giraud aka Moebius entwarf für das Projekt ca. 3000 Skizzen, die in Auszügen auf www.duneinfo.com/unseen/jodorowsky.asp zu sehen sind. Salvador Dali sollte die Rolle des Padishah Emperor Shaddam Corrino IV und Orson Welles die des Baron Harkonnen spielen. Obwohl dieses Projekt nie realisiert wurde, ist der Einfluss auf Genrefilme der späten 1970er unübersehbar. Vor allem, weil Jo­­­­do­­rowsky Seven Samurais, so nannte er sein „Dune Team”, ihre Ent­würfe dann tatsächlich in STAR WARS und ALIEN einbrachten, die so prägend für das neue Science Fiction Kino wurden. Heute ist Alejandro Jodorowsky Psychoanalytiker, Gastprofessor, Tarot Spezialist, gern ge­­sehener Gast auf Filmfestivals und hat mit seinen 80 Jahren nichts an Charme, Witz und Idealismus eingebüßt. Interviews sind auf youtube zu finden. Jodorowsky in einem Interview für das Penthouse, 1973: „Am I mad? Yes, like all the civilization on this planet. I think all humanity now is absolutely crazy”. In einem anderen Interview: „Ich weiß nicht, ob EL TOPO gut ist oder nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Ich hatte das Glück, dass John Lennon den Film mochte.”
EL TOPO (1970), ist ein surrealistischer Splatter-Western gespickt mit Allegorien und Metaphern und gehört zusammen mit NIGHT OF THE LIVING DEAD (George A. Romero), PINK FLAMINGO (John Waters), ERASERHEAD (David Lynch), ROCKY HORROR PICTURE SHOW (Jim Sharman), THE HARDER THEY COME (Perry Henzell) zu den sechs zentralen Midnight Movies. EL TOPO wurde am Set des Glenn Ford-Streifens TOTEM (DAY OF THE EVIL GUN, 1968) ge­­dreht und lehnt sich optisch den Sphagetti-Western dieser Zeit an. Jodorowsky war als Kind Gast bei Dreharbeiten zu einem Western und sagte später, dass es für ihn keine Cowboys oder Gunslinger waren die er da sah, sondern mysthische und getriebene Figuren. Der Film fand keinen Verleih, erlangte aber als wahrscheinlich erstes Midnight-Movie Kultstatus und erregte die Aufmerksamkeit von John Lennon, der sich auch die Aufführungsrechte für den Film sicherte. Den künstlerischen Wert des Films beweist der Umstand, dass dieser 1977 bei der Documenta 6 in Kassel lief.
Zur Story: Ein schwarz gekleideter Gunman namens El Topo (der Maulwurf), gespielt von Jodorowsky selbst, reitet mit seinem nackten Sohn durch die Wüste. Sie bleiben stehen und El Topo weist den 7-Jährigen an, sein erstes Spielzeug und das Bild seiner Mutter mit den Wor­­ten „you are a man now” zu begraben. Sie kommen zu einem Dorf in dem alles Lebendige, Menschen wie Tiere, niedergemetzelt wur­­­­de. El Topo findet die Täter, befreit eine Franziskaner-Mis­­sion aus ihrer Gewalt und tötet die Anführer. Mara, eine Frau aus der Mission, will sich El Topo anschließen. Zögerlich willigt El Topo ein und lässt seinen Sohn bei den Fran­­­­ziskanern. Mara fordert einen Lie­­­­­besbeweis von El Topo, er soll sich mit den 4 Meistern der Wüste mes­­­­sen. Spiralförmig nähert er sich dem Zentrum der Wüste und misst sich mit den Meistern und erlangt die Fä­­higkeiten der Meister, nachdem er sie besiegt hat. Das ist praktisch das erste Leben. Im Zweiten steht er – ohne es zu wollen – auf der Seite der Ohn­­mächtigen, der Unterdrückten und Getretenen, die ihn aufnahmen und pflegten. El Topo wird Anführer der „Freaks” (vgl. Dod Brownings FREAKS, 1932) und scheitert auch hier.
EL TOPO ist eine surreale Bilderflut, angereichert mit ge­­nialer Mu­­­­sik. Jodo­­rowsky kombiniert all sein Können in allen er­­denklichen Be­­­­rei­­chen. Es ist kein reiner Western, kein reiner Horror. Es ist der Triumph der Kunst über alle Filmstandards und -klischees, mal heiter, mal absurd. EL TOPO ist ein Meisterwerk für alle Sinne.
(Christian Stefaner-Schmid)

Mexiko 1970; Regie und Buch: Alejandro Jodorowsky; Kamera: Rafael Cor­kidi; Musik: Alejandro Jodorowsky, Nacho Méndez; DarstellerInnen: Alejandro Jodorowsky (El Topo), Brontis Jodorowsky (Sohn von El Topo), José Legarreta (Sterbender), Alfonso Arau (Bandit), José Luis Fernández (Bandit), Pablo Le­­der (Mönch), Giuliano Girini Sasseroli (Mönch), Mara Lorenzio (Mara), Da­­vid Silva (Colonel), Ignacio Martínez España (Der Armlose) Eliseo Gardea Saucedo (Der Mann ohne Beine) u.a.; (35mm; Farbe; 125min; DEUTSCH SYN­CHRONISIERTE FASSUNG).